Humdrum
Das von David Huron um 1990 am CCARH entwickelte Humdrum(1) dient nicht nur der Auszeichnung des Notentextes, sondern bietet mit dem darauf aufsetzenden Humdrum Toolkit, einer Sammlung von Auswertungs- und Bearbeitungsskripten, auch vielfältige Möglichkeiten musikalischer Analyse. Diese steht konsequent im Fokus des Formats, während die Unterstützung satzspezifischer Fragestellungen bestenfalls rudimentär ist.
Das Humdrum Toolkit beinhaltet darüber hinaus eine Reihe von Skripten, die Noten aus anderen Dateiformaten (u.a. MuseData, MIDI, Finale, Guido, MusicXML) nach Humdrum konvertieren bzw. sie teils auch in diese Formate exportieren können, so dass das Format zu den bislang attraktivsten im musikwissenschaftlichen Umfeld gehört.
Humdrum unterscheidet für die Angabe zusätzlicher, über die reine Codierung des Notentexts hinausgehender Daten zwischen Comment Records und Reference Records. Comment Records werden mit ein oder zwei Ausrufezeichen gekennzeichnet; ein Ausrufezeichen leitet lokale Kommentare ein, zwei Ausrufezeichen werden dagegen für globale Kommentare genutzt, die beispielsweise die Quelle und den Titel des Stücks beschreiben. Die mit drei vorangestellten Ausrufezeichen markierten Einträge, die als Reference Records bezeichnet werden, beschreiben laut Humdrum Website Informationen, wie sie üblicherweise in bibliothekarischen Angaben bzw. bei der Katalogisierung begegnen. Als Beispiel folgt eine Auszeichnung der Metadaten des Lieds Der Abendstern von Robert Schumann. Die Akronyme sind in einer begleitenden Liste festgehalten (hier ab Zeile 6: Composer, Composer's Dates, Date of Composition, Title in German, Publication Status, Date and Owner of Electronic Copyright, Genre Designation, Style-period, Metric Classification, Instrumentation).
Beispiel für die Codierung von Metadaten in Humdrum Quelle erweitern
!! Liederalbum für die Jugend
!! Transcribed by Kristin Herold
!! No. 79/1 "Der Abendstern"
**kern **lyrics
! in german
… …
!!!COM: Schumann, Robert
!!!CDT: 1810/6/8/-1856/7/29
!!!ODT: 1849
!!!OTL@@GER: Der Abendstern
!!!PUB: Breitkopf & Härtel
!!!YEC: Copyright 1991 by Breitkopf & Härtel
!!!AGN: Lied
!!!AST: Romantic
!!!AMT: simple
!!!AIN: Ipiano Ivox
Humdrum bietet über die im vorstehenden Beispiel sichtbaren einzelnen Zeilen (spines) hinaus eine Reihe zusätzlicher Metadatenzeilen für Unterrubriken der Kategorien Authorship, Recording, Performance, Work Identification, Group Information, Imprint, Copyright, Analytic Information, Representation und Electronic Citation. Dies geht weit über die Möglichkeiten hinaus, die etwa das Codierungsformat MuseData bietet.
Das Format erweist sich durch die Aufteilung in mehrere Bereiche als sehr flexibel. Die Besonderheit des Formats liegt in der sequentiellen Darstellung der codierten Daten. Aus diesem Grund muss die Abfolge der Inhalte (zeitlich, räumlich etc.) nachvollziehbar sein. Die Codierung des Notentextes erfolgt in mehreren spines (Spalten), die durch Tabulatoren voneinander abgegrenzt werden. Die entstehenden Spalten werden records genannt. Zeitlich aufeinander folgende Ereignisse werden untereinander codiert, zeitgleiche Ereignisse jedoch nebeneinander. Die einzelnen Stimmen eines Werkes werden dabei üblicherweise aufsteigend codiert, beginnend mit der tiefsten Stimme. Die zunächst einzeln erfolgenden Codierungen der Stimmen einer Partitur können in einer gemeinsamen Datei abgelegt werden, wodurch ein sehr breiter Quelltext entstehen kann.
Die Codierung selbst beschränkt sich auf tatsächliche musikalische Bestandteile einer Partitur. Es ist eine Vielzahl eigens für Humdrum entwickelter Datenstrukturen (representations) vorhanden, mit denen Musik auf unterschiedliche Weise dargestellt werden kann. Die wohl bekannteste Struktur ist **kern, mit dem sich etwa die Tonhöhe und Tondauer einer Note darstellen lässt, aber auch weitere musikalische Phänomene wie etwa Bogensetzungen oder Balkungen.
Die nachfolgenden beiden Codierungsbeispiele zeigen den Auftakt und den ersten Takt des Liedes Der Abendstern. Die Codierungen der Singstimme und des Pianofortes erfolgen separat. Beiden Beispielen ist der Kopfbereich gemein, der die wichtigsten Metadaten des Werkes beinhaltet und daher auch bei beiden Dateien gleich ist. Auch hier werden die Metadaten mit drei vorangestellten Ausrufezeichen erfasst (vgl. Z. 1 bis 6), im Einzelnen hier der Komponist (Z. 1), der Titel des codierten Werkes (Z. 2), der Titel des übergeordneten Werkes (Z. 3), die Originalsprache des Werkes (@-Zeichen in Z. 2 und 3), die Opuszahl des Werkes (Z. 4) sowie die Nummer des Stückes innerhalb des Werkes (Z. 5). Das Kürzel EFL in Zeile 6 bezeichnet die Dateinummer innerhalb einer zusammengehörigen Gruppe von Dateien. Hier können allerdings keine Verweise zwischen den zusammengehörigen Dateien einer Gruppe gespeichert werden. Der mit lediglich zwei Ausrufezeichen gekennzeichnete Eintrag in Zeile 7 beinhaltet einen Kommentar, der für alle Inhalte der Codierung gilt. So besagt Zeile 7, dass es sich hier um die Codierung der Sopranstimme handelt. Weiterhin gibt es noch den (in den unten aufgeführten beiden Beispielen nicht vorkommenden) Fall, dass einem Eintrag lediglich ein Ausrufezeichen vorangestellt ist. Hierbei handelt es sich um Kommentare.
Die in Zeile 8 mit jeweils zwei ** gekennzeichneten Einträge (**kern und **silbe) definieren die im nachfolgenden Bereich der Datei verwendeten representations. Die innerhalb einer Zeile (record) auftretenden "Ereignisse" finden jeweils gleichzeitig statt. So beschreibt etwa der Eintrag "8a/" in Zeile 14 den Auftakt der Singstimme (ein a' mit dem Wert einer Achtel, Halsrichtung nach oben – ein nach unten gerichteter Notenhals würde entsprechend mit einem Backslash codiert werden). Die rechts daneben aufgeführten records bezeichnen die vier Tonsilben, die in den einzelnen Versen auf dieser Achtel erklingen sollen. Taktstriche werden mit einem Gleichheitszeichen gekennzeichnet. Die in den Zeilen 10 bis 13 mit einem vorangestellten * gekennzeichneten Informationen beziehen sich auf das System, das codiert wird (staff 1), die Schlüsselung (hier ein G-Schlüssel, der auf der zweiten Notenlinie von unten steht), die Vorzeichnung (drei Kreuzvorzeichen) und die Taktart (2/4-Takt).
Beispiel für die Codierung des Notentextes (Singstimme) in Humdrum Quelle erweitern
!!!COM: Schumann, Robert
!!!OTL@@GER: Der Abendstern
!!!OPR@@GER: Liederalbum für die Jugend
!!!OPS: 79
!!!OMN: 1
!!!EFL: 1/2
!!Soprano
**kern **silbe **silbe **silbe **silbe
* *LDeutsch *LDeutsch *LDeutsch *LDeutsch
*staff1 *staff1 *staff1 *staff1 *staff1
*clefG2 * * * *
*k[f#c#g#] * * * *
*M2/4 * * * *
8a/ Du Wie So Wie
= = = = =
4c\ lieb- lieb' blick' nickst
8b\ -li- ich ich du
8a/ cher doch nach mir
= = = = =
Die Codierung der Klavierstimme wurde hier noch hinzugefügt, weil sich daran die einfache Erweiterbarkeit des Formats deutlich erkennen lässt. So kann die Anzahl der spines beliebig erweitert werden. Erweiterungen werden mit einem *^ gekennzeichnet (vgl. etwa Z. 13). Das Beispiel zeigt zudem das Prinzip der Bogensetzung in Humdrum. Der Beginn eines Bogens wird dabei mit einem "(" (vgl. etwa Z. 19) hinter der codierten Note beschrieben, das Bogenende mit einem ")" (vgl. Z. 23). Die Balkensetzung erfolgt in Humdrum mit Hilfe der Buchstaben "L" (Beginn) und "J" (Ende) (vgl. Z. 22 und 23). Zwei Balken würden mit "LL" und "JJ" codiert.
Beispiel für die Codierung des Notentextes (Klavierbegleitung) in Humdrum Quelle erweitern
!!!COM: Schumann, Robert
!!!OTL@@GER: Der Abendstern
!!!OPR@@GER: Liederalbum für die Jugend
!!!OPS: 79
!!!ONM: 1
!!!EFL: 2/2
!!Pianoforte
**kern **kern
*staff3 *staff2
*clefF4 *clefG2
*k[f#c#g#] *k[f#c#g#]
*M2/4 *M2/4
*^ *^
*^ * *^ *
* *^ *^ *^
* * * * * * *
8A\ . . 8a/( . . .
= = = = = = =
4AA\ 4E\ 4A\ 4c/ 4e/ 4a/ 4cc/
8BB\L 8E\ . 8d/ 8e/ 8g/ 8b/L
8C\J 8E\ 8A\J . 8e\) . 8a/J
= = = = = = =
Humdrum bietet keine Möglichkeiten, graphische Aspekte zu codieren. Aufgrund der sequentiellen Darstellung der codierten Informationen ist ebensowenig eine Erfassung von Varianten möglich. Daher ist das Format für den Einsatz zu editorischen Zwecken nicht geeignet.
Als positiv hervorzuheben ist die umfassende Dokumentation des Formats, die auf der Website des Center for Computer Assisted Research in the Humanities (CCARH) der Standford University zur Verfügung steht.
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Einen Überblick über die Reference Records gibt: http://musiccog.ohio-state.edu/Humdrum/guide.append1.html#AIN; eine kritische Bewertung bei Kepper, a.a.O., S. 324–337. ↩